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Pflege von Angehörigen: Kein Feierabend nach Feierabend

06.05.2015 |  Von  |  Beitrag

Es kann jeder Familie passieren, und nicht immer ist es vorhersehbar: Ein Verwandter wird pflegebedürftig. Entscheiden sich die Angehörigen für die Pflege zu Hause, brauchen sie viel Energie. Vor allem, wenn sie zusätzlich noch einen Job bewältigen müssen. 

Sich selbst nicht mehr versorgen können, angewiesen auf die Pflege anderer: Jeden von uns kann das treffen, sei es durch das Alter, eine schwere Krankheit oder einen Unfall. Nahezu jeder Erkrankte möchte am liebsten bei seiner Familie, in seiner gewohnten Umgebung bleiben.

Ein verständlicher Wunsch, der sich leider nicht in jedem Fall erfüllen lässt. Die Pflege zu Hause kostet die Angehörigen viel Kraft. Damit es funktioniert, müssen alle im Haushalt lebenden Familienmitglieder mit dem Entschluss einverstanden sein und bei Bedarf mit anpacken.

Aufgerieben zwischen Pflege, Job und Familie

In den meisten Fällen übernimmt ein Angehöriger den Hauptteil der Pflege, während die restliche Familie nur unterstützend einspringt. Wer ausserdem noch einen Beruf ausübt, kann leicht an seine Grenzen gelangen. Alles unter einen Hut zu bringen gelingt auf Dauer nur, wenn der Chef Verständnis zeigt und seinen Mitarbeitern zeitliche Flexibilität ermöglicht.

Nach einem Bericht des Schweizerischen Beobachters leben rund 4 % der Schweizer mit einer solchen Mehrfachbelastung: Sie meistern Job und Familie und wohnen mit einem pflegebedürftigen Angehörigen zusammen – oder betreuen ihn in dessen eigenem Haushalt, wenn er noch alleine wohnen kann.

Welche Aufgaben hierbei im Einzelnen anfallen, hängt davon ab, in welchem Umfang der Erkrankte auf Pflege angewiesen ist. Das beginnt bei kleinen Hausarbeiten, Einkäufen und Erledigungen, kann sich aber schnell zum Vollzeitjob ausweiten: Fahrten zu Behandlungen und Untersuchungen, die komplette Organisation der Finanzen, Kommunikation mit Krankenkassen und Behörden. Nicht zu vergessen die direkte Pflege: Der Angehörige benötigt vielleicht Hilfe beim Essen, Toilettengang, der Körperpflege, muss an die Einnahme seiner Medikamente erinnert werden oder Spritzen verabreicht bekommen. Selbstverständlich braucht er gleichzeitig emotional viel Zuwendung.

Immer noch übernehmen vorwiegend Frauen diese oft belastenden und kräftezehrenden Aufgaben. Sie bekommen dafür keinen Lohn, entlasten aber das Gesundheitssystem und sparen den Krankenkassen viel Geld. Der Anteil an männlichen Pflegenden liegt in der Schweiz bei rund einem Drittel.

Weniger Lohn, weniger Rente

Über mehrere Jahre hinweg lässt sich private Pflege mit einer Vollzeitstelle kaum vereinbaren. Viele Schweizer/-innen, die ein Familienmitglied betreuen, reduzieren früher oder später ihre Arbeitsstunden oder geben die Berufstätigkeit auf. Als Alternative sehen sie nur, den geliebten Menschen einem Pflegeheim anzuvertrauen – oder sich selbst bis zum Zusammenbruch zu belasten.


Die Pflege zu Hause kostet die Angehörigen viel Kraft. (Bild: © Alexander Raths - shutterstock.com)

Die Pflege zu Hause kostet die Angehörigen viel Kraft. (Bild: © Alexander Raths – shutterstock.com)


In der Folge ergeben sich massive Lohnkürzungen, einhergehend mit niedrigeren Renten. Und da überwiegend Frauen die Pflege übernehmen, sind sie doppelt benachteiligt: Leisten sie doch im Normalfall den Löwenanteil an der Kindererziehung und sind – jedenfalls in den ersten Lebensjahren des Nachwuchses – nur eingeschränkt berufstätig.

Rechtzeitig Hilfe suchen

Für Pflegende kommt zu dem hohen Arbeitspensum die emotionale Belastung: die Angst um den Angehörigen und das Mitgefühl, wenn er leiden muss. Deshalb ist es wichtig, sich frühzeitig Unterstützung von aussen zu holen.

Es gibt umfangreiche Hilfsangebote für nahezu jede schwere Krankheit sowie Beratungsstellen für pflegende Angehörige. Jene bieten auch praktische Hilfen an, übernehmen Fahrdienste oder kümmern sich um die Organisation eines Pflegedienstes, der die Pflegenden entlastet. Krankenkassen und Organisationen wie das Rote Kreuz oder Spitex helfen gerne mit Kontaktadressen weiter. Die Informationen sind zudem online abrufbar.

Der vollständige Ausstieg aus dem Berufsleben sollte unbedingt vermieden werden: Zu den finanziellen Risiken kommt der Wegfall an sozialen Kontakten mit Kollegen, Vorgesetzten, Kunden. Der Pflegende ist dann rund um die Uhr für die Betreuung zuständig. Man muss aber unbedingt auch aus dem Haus heraus, Kontakte zu anderen Menschen haben, neue Eindrücke gewinnen. Anderenfalls drohen Isolation und seelische Beschwerden.

Darüber hinaus ist nicht in jedem Fall eine Betreuung zu Hause die beste Variante für einen kranken Menschen. Bei manchen Krankheiten helfen externe Betreuungsangebote der Familie am besten. So kann beispielsweise für einen Demenzkranken eine Tageseinrichtung die ideale Lösung sein: Hier kommt er mit anderen Menschen zusammen, kann sich austauschen und wird nach seinen Bedürfnissen betreut. Seine Familie geht unterdessen beruhigt ihrer täglichen Arbeit nach und weiss den Angehörigen bestens aufgehoben. Abends sind alle wieder zusammen.

Auch betagte, gebrechliche, aber geistig fitte Menschen sind nicht immer glücklich, wenn sie zu Hause gepflegt werden. Sie fühlen sich tagsüber einsam, die Zeit wird ihnen lang, während Sohn oder Tochter arbeiten. Manche rufen leicht verzweifelt mehrmals täglich im Büro an, was ein effizientes Arbeiten unmöglich macht, auch wenn es natürlich ohne böse Absicht geschieht. In solchen Fällen bietet sich ebenfalls eine tage- oder stundenweise Betreuung ausser Haus an, die alle Beteiligten entlastet.

Verständnisvolle Arbeitgeber sind gefragt

Wer private Pflege und Beruf organisieren muss, kann sich glücklich schätzen, wenn er einen rücksichtsvollen Chef hat. Einige Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern flexible Arbeitszeitmodelle oder eine vorübergehende Verringerung der Wochenstunden an. Das ist natürlich Gold wert, vor allem wenn der Pflegefall unerwartet eintrat.

Viele Arbeitgeber denken in dieser Hinsicht langsam um. Mit Verständnis und Fairness können sie gute Mitarbeiter im Unternehmen halten. Und der Arbeitnehmer muss keinen Lohnverzicht hinnehmen, kann sich ausreichend um den Angehörigen kümmern und ist trotzdem motiviert bei seiner Arbeit.



Wichtigste Voraussetzung, um mit dem Vorgesetzten eine gute Lösung zu finden: frühzeitig das Gespräch suchen und offen über die Situation berichten. Das gilt auch für das Verhalten gegenüber den anderen Mitarbeitern. Wenn sie wissen, warum der Kollege so oft früher gehen muss, werden sie viel eher mit Verständnis reagieren.

 

Oberstes Bild: © Lighthunter – shutterstock.com

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